Das erste Mal echte Knastgitter von innen, Mauern und Stacheldraht als
Ausblick. Einer der ersten vom Wetter her angenehmen Tage steht nun aber
für etwas sehr Unangenehmes: Ich lerne eine Institution kennen, die
geschaffen wurde, Menschen zu brechen, Existenzen zu zerstören.
Aber von Anfang an:
Irgendwo in den weiten des Weltalls gibt es einen Planeten mit Bergen,
Tälern, Flüssen, Meeren, Steppen, Savannen und Wäldern. Die diversen
Bewohnenden dieses Planeten kommen dabei mehr schlecht als recht
miteinander aus. Eine der diesen Planeten bevölkernden Spezies, der
Mensch, entwickelt im Laufe der Jahrtausende merkwürdige
Verhaltensmuster. Die Menschen begannen, Teile des Planeten zu umzäunen
und zu behaupten, sie hätten, weil sie es eingezäunt hätten, nun das
Recht, dort zu sein, und andere hätten es nicht mehr. Darüber hinaus
beanspruchten sie an diesen Orten nicht nur das Recht, darüber zu
bestimmen, wer dort sein durfte, sondern auch das Recht, diesen Flecken
der Erde kaputtzumachen – was auch immer sie sich Absurdes davon
versprechen. Und dann noch das Recht, die umliegenden Flecken Erde von
ihrem Flecken aus zu verpesten mit Ruß und Qualm und Gift. Und wenn
der eigene Fleck zu klein oder schon zu kaputt erschien, fanden und
erfanden sie Gründe, sich auf weitere Flecken auszudehnen. Um dieses
grausame System noch zu verschlimmern – nein, sie würden sagen zu
„optimieren“ – kommen aber noch weitere Gemeinheiten hinzu. Innerhalb
eines Fleckens Land, der umzäunt und zu „Eigentum“ oder „Staat“ gemacht
wurde, gab es nun nämlich noch zusätzliche Regeln, wie die Individuen
miteinander umzugehen haben. Das erste Prinzip hieß: gegeneinander. Ja
nicht solidarisch miteinander, nein, immer in Konkurrenz. Und damit alle
mitmachen und sich die Schwachen nicht zusammentun, werden Märchen
erfunden. Es gilt immer: Der Stärkere siegt. Und damit der Stärkere auch
für immer der Sieger bleibt, erfindet er die Märchen und macht die
Regeln. Wenn es zu doll auffällt, dass er die Regeln macht, braucht er
bloß einen neuen Mythos, eine Geschichte. Der Stärkere muss zu seinem
Machterhalt v.a. eines schaffen: Er muss das richtige Verhältnis
herausfinden von Regeln und Märchen. Die Schwachen würden sonst
rebellieren – sowohl bei zu vielen Märchen als auch bei zu vielen
Regeln. Nicht die Gesamtmenge ist entscheidend, sondern das Verhältnis.
Die Starken im eingezäunten Fleck Erde haben z.B. definiert, welche
Drogen gut sind und welche böse. Und dann haben sie die bösen Drogen
verboten. Mit einer Regel. Einem Gesetz. Das ist jetzt also Gesetz – das
eine ist gut, das andere böse. Und dann haben sie das dazu passende
Märchen entwickelt. Plötzlich ging es nicht mehr um das
Kontrollbedürfnis des Staates und eine Einmischung ins Private, eine
Bevormundung oder dergleichen. Nein, plötzlich ging es um „das Gute“.
Schützen wollte der Staat die Leute, mit Eigennutz habe das nichts zu
tun, die bösen Drogen seinen etwas sehr Verwerfliches und Gefährliches.
Kümmernd und sorgend habe da nun der Staat interveniert. Ohne den
Diskurs der kümmernden, sorgenden Hand des ach-so-sozialen, des
Achso!-sozialen!-Staates wäre die Regel nicht durchsetzbar, weil die
Menschen merken würden, wie bekloppt sie ist. Aber die Starken haben
auch mehr Einfluss auf Medien, und so lässt sich die Meinung eben dahingehend beeinflussen. Irgendwann verselbstständigt sich die Mär vom guten Staat derart, dass eine explizite Einflussnahme nicht mehr nötig ist.
Wenn trotzdem noch einzelne Schwache auf die Idee kommen, die Regeln zu
missachten (oder der Staat ein Interesse daran hat, Handlungen so
auszulegen, als wären Regeln missachtet worden), folgt die Strafe. Das
ist die Rache der Starken, die damit beweisen, dass sie die Starken
sind. Strafe ist zum einen die durch den Staat explizit verhängte
Sanktion (Sachen wegnehmen oder Freiheit wegnehmen) und zum anderen all
das soziale, was daran hängt. Das liegt am dazugehörigen Märchen. Das
besagt nämlich, dass nicht der Staat und seine Regeln, die nur ihm
selber nützen – nie den Menschen –, ätzend wären, sondern die Individuen, die dagegen verstoßen haben. Und dass der Staat diese Straftäter_innen dann
einsperrt, passiert – so das Märchen –, eben nicht, um das Machtmonopol des
Staates unhinterfragbar zu demonstrieren und die Potenz der Starken zur
Schau zu stellen, sondern um die armen fehlgeleiteten Schäfchen zur
Einsicht in ihrem moralisch falschen Handeln zu bewegen. Wie nett vom
Staat, sich auch darum zu sorgen.
Ich meine: Es muss Schluss sein mit diesen Märchen! Es muss Schluss sein
mit Knästen!
PS: An jene, die meinen, Obdachlose, die in den Knast wollen, wären ein
Lob für die Knäste: wie armselig muss eine Gesellschaft sein, wie
sozialrassistisch und unmenschlich, damit Leute den Verlust ihrer
Freiheit in Kauf nehmen, um nicht zu verhungern?
PPS: Nur weil sie bisher keine Erwähnung fanden, sei der Vollständigkeit
halber angemerkt: Auch Psychatrien, Polizei, Schulzwang und Gerichte
gehören auf den Müllhaufen der Geschichte.
Anm. d. Red.
Vom 7.-10. Juni soll es ein Open-Space-Austausch-Wochenende „Für eine Welt ohne Knast und Strafe“ geben.
Informationen dazu unter:
15 Responses to Brief aus dem Knast: Von Starken, Schwachen, Regeln und Märchen