Knasteindrücke von Hanna

Hanna schildert in Briefen ihre Erfahrungen im Knast und lässt uns an ihren Erlebnissen teilhaben. Im folgenden einige Eindrücke aus den letzten Wochen.

Kurz nach dem Haftantritt:

Draußen vor den Knastmauern lesen Frauen, wohl Freigängerinnen, die Kreidesprüche und lachen. Ob sie sie auslachen oder sich freuen? Ich weiß es nicht. Das mit den Pommesbuden lesen sie und diskutieren drüber. „Da steht noch was“,  sagen sie. Und „Heute morgen stand das da noch nicht, oder?“

„Nicht weinen, die Mama kommt ja bald wieder“, sagt ein Vater mit Kleinkind auf dem Arm, der das Gelände der JVA verlässt. Ein eindrückliches Bild. Und da sag noch einer, diese Institution sei was Gutes. Wie kaputt die Wärter_Innen sein müssen, dieses tagtägliche Elend, was sie Menschen antun, als richtig zu betrachten. Wie ekelerregend.

„Warum werden Menschen eingesperrt?“, lesen die Leute vor der Mauer. Hoffentlich fragen sie es ich auch.

Die Aufnahmeformalitäten – oder wie Herrschaft funktioniert:

Kriege morgen Schlüssel für Zimmer, habe das auch quittiert bzw. unterschrieben. Habe erklärt, dass ich dafür ja auch was bekomme. Habe auch unterschrieben, welche Technik ich mitgebracht habe, weil ich den Discman ja nutzen will. Habe nicht unterschrieben, dass die mir meinen Ausweis weggenommen haben. Habe eine Diskussion geführt, dass ich ja nicht freiweillig hier sei. – Doch, ich sei doch gekommen und nicht reingeschleift worden. – Ja, ja, nur dass es eben auch eine subtilere Unfreiwilligkeit gäbe. – Dass ich das schön auswendig gelernt hätte. – Nein. – Doch. – Na, woher habe ich es denn auswendig gelernt? – Schweigen  …  Na, dann lassen wir es eben so, wenn Sie den Ausweis dann nicht wiederbekommen, ist das eben ihr Problem. – Das werden wir ja sehen.

Es ist weiterhin so, dass die mir nicht mitteilen können, was passiert, wenn ich deren Befehle nicht befolge. Die scheinen blinden Gehorsam derart gewöhnt zu sein, dass die Frage nach den Konzequenzen von Ungehorsam sie vollkommen überfordert. Gestern habe ich mich geweigert, zu unterschreiben, dass die meinen Ausweis verwahren, nachdem mir als Grund nur genannt wurde, das sei eine Sicherheit für mich. Die werden mir das Ding schon wiedergeben. Außerdem müssten dann die unterschreiben und ich den Beleg erhalten und nicht andersrum. Aber ist ja egal – Logik zählt hier nur wenig.

Guter Einstieg. Hab viel erklärt und die hat nix gerafft. Wäre ich wie angekündigt früher gekommen, hätte ich noch heute zur Ärztin gekonnt. So sei ich eben selber schuld und müsse die erste Nacht auf der Eingangszelle verbringen. Als hätte ich Zeitdruck. Die kommen auf Ideen. Mal abwarten, was ich noch alles an Formularen vorgesetzt bekomme.

Kleines sexistisches Highlight am Rande. Fragebogen:
1. a) Familienname (bei Frauen auch Geburtsname)

Zufällig gehörte Äußerungen von Beamt_innen gegenüber Mitgefangenen:

„Ich kann’s Ihnen nicht sagen. Das ist so, weil es hier draufsteht.“ (Bezogen auf eine Kürzung des Ausgangs auf 1 Stunde pro Woche.)

„Ich setz‘ mich ungern ein, wenn ich mich dann ins Fettnäpfchen setze.“ (Mutter will mehr Ausgang, um Kind zu sehen.)

„Wenn Sie ihr Kind sehen wollen, können Sie eben nicht ins Kino gehen. Aber ich hab‘ das jetzt mal mal durchgerechnet, Sie können sich freuen.“ (gönnerhaft-streng)

„Na kaufen Sie sich halt ’nen zweiten Wecker. Einen, der Ihnen auf den Kopf haut.“ (Eine Frau hatte sich bei der Zählung um 10 Minuten verspätet und es folgt die Androhung, zukünftig um sechs und halb sieben zur Zählung zu müssen.)

„Wo sommer’n hier? Müttergenesungswerk, oder was?“ (In einer Auseinandersetzung, nachdem eine Gefangene ein „Anliegen“ (Art schriftlicher Antrag) abgegeben hatte, um ihrenAusweis zu Arbeit mitnehmen zu dürfen.

Weitere Momentaufnahmen und Beobachtungen aus Hannas Sicht:

Stundenlohn Essensausgabe: 80 Cent
Angerechnet wird nur am Wochenende, in der Woche gar nicht. Angerechnet wird pro Essensausgabe eine halbe Stunde, real dauert es gut eine Stunde.

Der größte Wunsch einer Mitgefangenen ist es, am Kiosk gegenüber eine Kippe zu rauchen. Eigentlich sagt das schon alles. Der Ausblick dort unter dem gleichen blauen Himmel wie hier besteht ebenso aus Mauern und Stacheldraht. Der Kiosk ist weder gemütlich, noch arbeiten dort besonders nette Menschen. Was auch immer Freiheit ist: Der Kiosk, keine 50 m Luftlinie entfernt, ist ihr meilenweit näher als dieser Hof.

Wenn mal wieder im Fernsehen was über Vorstände großer Unternehmen und deren Verdienst geredet wird, werde ich von den anderen geholt, ich müsse mir das angucken. Ich glaube, dass die Leute etwas mitnehmen von dem, was ich sage – was auch immer es ist.

Keine weiß, was wir dürfen. Müssen wir auf den Zellen sein vormittags? Oder nur auf Station? Oder dürfen wir auch in den Keller zur Sozialarbeiterin? Oder wird der Aufenthalt im Fernsehraum nur stillschweigend geduldet? Und ab wann darf ich morgens in die Küche zum Wasserkocher? Duschen? All diese Fragen entscheiden wir momentan einfach selber – natürlich zu unseren Gunsten. Seltsame Normalität… So lernt mensch also, sich an Regeln zu halten, da hab ich ja wieder was gelernt …

Ich esse meine vegane Sonderkost. Wie immer wenn das „normale“ Essen nicht vegan ist, bekam ich eine Aluschachtel mit meinem Mittag. Ich muss an Shankar denken und an den Widerstand in Indien. Da werden Menschen vertrieben und verfolgt und Landschaften zerstört, damit mein verdammtes Knastessen von der Knastküche bis zu mit kommt. Ob die Klima-Öko-Sozial-Bilanz des nicht-veganen Essens besser ausfällt? Ich muss außerdem an Oya, eine Mitgefangene, denken, die mir von den Schwarzteeplantagen erzählte. Sie trinke deswegen nur Pfefferminz. Ich weiß nichts über die Produktionsbedingungen – ich weiß nicht einmal, wo Pfefferminztee im industriellen Maßstab für konventionelle Tees angebaut wird. Grade weil es kein richtiges Leben im Falschen gibt, gilt es weiterzukämpfen. Für ein ganz anderes Ganzes!

In den letzten Jahren war mir die Zeitumstellung immer herzlich egal. Hier im Knast ist das anders: Ich werde zwar im Dunkeln aufstehen müssen (aber zu früh bleibt zu früh, von wach kann bei Zeiten mit einer 6 am Anfang ohnehin nicht die Rede sein – der Mensch hat schließlich kein Recht auf einen eigenen Tagesrhythmus, wo kämen wir da auch hin?), aber in den Abend hinein bedeutet die Umstellung, dass sich die sog. „Freizeit“ (wo von „frei“ innerhalb von Betonmauern zu reden doch eher zynisch wirkt) dann durch etwas mehr Sonne auszeichnen wird. Das ich mich jemals zur Sommerzeitumstellung äußern würde… – Für eine Welt, in der niemand irgendwem anders vorschreiben kann, wann er oder sie aufzustehen hat: Für eine Welt ohne Grenzen und Knäste!

Ich blättere im Gemeinschaftsraum eine Frauenzeitung durch – auf der Suche nach skurrilen Bildern zum Verschönern meiner Post. In einer der Zeitungen stehen Kommentare neben fast allen Bildern, meist kleine OK-Häkchen, manchmal „Liebe“ oder „Ich liebe dich“ und auf einem Frauenbild steht „Lesbe“. Einfach so. Und neben einem Liebesroman „Ohne dir ich sterbe“. Knast macht traurig und einsam.

Knast fördert Denunziation. Einer Gefangenen wird – angeblich sei sie mehrmals zu laut gewesen – der Ausgang verwehrt. Zu Recht beklagt sie sich über die Strafmaßnahme, führt dabei jedoch umfangreich aus, wer ansonsten noch laut sei und wer sich ohnehin immer beschweren würde.

Seit gestern, 19. 3., erinnere ich mich beim Aufwachen an meine Träume. Ich erinnere mich sonst nur alle paar Monate mal an meine Träume. Beides waren absurde, angstmachende Verfolgungsjagden. Nicht überraschend, nicht übermäßig dramatisch, aber bezeichnend. Verdammter Knast, der da in meinem Kopf rumspukt.

Welten prallen aufeinander:

Irgendwie ist es schon beängstigend, wie ernst die Leute diesen ganzen Scheiß aus dem Fernsehen nehmen. Ich frage mich, was hier das Huhn und was das Ei ist, ätzende Normalität prägt Serien prägen das Miteinander der Leute vor den Bildschirmen. Wenn Nachrichten, dann RTL, es ist wirklich lehrreich diese Konfrontation mit dem, was für Andere normal, wichtig, zeitfüllend und bedeutend im Leben ist. Was für kleinste Abweichungen schon deren Horizont sprengen. Manchmal finde ich Worte, um einzuhaken, manchmal schweige ich und bin stille Beobachterin – schlicht weil mir die Worte fehlen.

Ich hatte einen großartigen Austausch mit der Sozialarbeiterin. Dass ich ja schon bei der Aufnahme die Unterschrift unter einem Formular verweigert hätte und dass nicht mit ihr reden müsse, aber ob ich schon mal im Knast gewesen sei. Ich antwortete, dass ich das nicht beantworten würde. Sie könne es auch nachschauen, sagt sie dann etwas bedrohlicher. Ja, sagte ich, wenn es sie interessiere, dann müsse sie das wohl nachschauen. Aber es sei doch nur zu meinem Besten. Ich meldete Zweifel an und versicherte ihr dann, dass ich vorerst keine Fragen hätte und in der Lage sei, mich bei Bedarf bei ihr zu melden – das beruhigte sie dann, und sie ließ mich gehen.

Es scheint „wirklich“ schwer für Uniformierte zu sein, den Inhalt der Wortes „freiwillig“ zu verstehen. Ich weiß schon nicht mehr, worum es in der Auseinandersetzung ging, aber ich bekam zu hören, was mir denn einfiele, mich zu beschweren, ich sei ja „freiwillig“ hier. Ich widersprach. Aber ich hätte mich doch „selbst gestellt“ Ja, sicherlich, aber wenn ich die Wahl habe, zwischen Pest und Cholera, dann werde ich lieber nicht davon krank. Das Beängstigende an der Debatte war, dass die Beamtin etwas von einem Richter redete, der das eben so entschieden hätte, und nun sei ich ja „freiwillig“ gekommen, und sie dabei nicht einmal im Ansatz zu merken schien, dass sie sich sogar selbst widersprach. Knastlogik zerstört Wesentliches nicht nur in den Köpfen der Gefangenen, sondern auch in den Köpfen derer, die sich dafür bezahlen lassen, andere Menschen zu demütigen und einzusperren.

Manchmal verschlägt es mir die Worte, wie hier mit Schicksalen umgegangen wird. Eine Neue kommt. Morgens um 8 kommt sie in die Eingangszelle im Offenen. Gegen halb 12 wird sie zu uns in die Eingangsstation A verlegt. Wir könnten ihr, sagen die Beamten, ja schonmal erklären, wie es hier so liefe. 2 Jahre 4 Monate muss sie rein, ist ziemlich fertig, ist erfreut, dass wir „normale Menschen“ seien (Es scheint sie zu überraschen) und dass sie im offenen Vollzug sei. Nach einem Gespräch mit uns räumt sie ihre Zelle ein, wirkt langsam etwas stabiler. Eine Stunde später wird sie verlegt – in den Geschlossenen.

„Befehl und Gehorsam“:

Ich stehe am Esstisch und schließe die Fenster. Ein Hinweisschild teilt mir mit, dass das Betreten der Balkone verboten sei. An jeder Tür zu einem der zahlreichen Balkone hängt ein solches Schild. Ich blicke mich etwas weiter um, und mein Blick fällt auf die Tür zum Gemeinschaftsraum: Das Essen sei in diesem Raum verboten. Und weiter: Die Küchenzeile sei bis 22:00 Uhr sauber zu hinterlassen. Und noch ein Verbot in Sichtweite: Außerhalb der Station seien Hausschuhe verboten und festes Schuhwerk Pflicht. Ich hab mich nicht bewegt – nur umgeschaut. So lerne ich also Eigenverantwortung – danke sehr!

Ach, ich hab was vergessen: Die Brandschutztür ist stets geschlossen zu halten. Das Kochfeld ist nur feucht zu putzen, keinesfalls nass, und alle Frauen hätten ihr Essen persönlich (fett unterstrichen) abzuholen.

„Zack-zack-zack-zack“ höre ich im Gang. „Ziehen sie sich was anderes an!“ – „Wie, das wussten sie nicht? Dann holen sie sich ganz schnell was.“ Was für ein ätzend unsensibler Umgang mit einer Frau, der die OP bevorsteht, bei der ihr ein totes Kind aus dem Bauch geholt werden soll. Ein paar Stunden später komm sie wieder und berichtet, ihr sei ohne irgendeinen Anlass angedroht worden, wenn sie zicke, würden ihr Handschellen angelegt. Wir reden über Diskriminierung, und sie sagt, ihr als „Zigeunerin“ (sie nutzt das Wort selber) würde so was häufiger passieren. Ob das Herz des Kindes wegen der Knastumstände, dem ständigen Psychoterror hinter Gittern, aufgehört hat zu schlagen, werden wir nie erfahren; unwahrscheinlich erscheint es mir jedenfalls nicht.

Bitte von Hanna:

Ein ganz großes DANKESCHÖN an dieser Stelle an all die Menschen, die mir schreiben. Ich kriege Post von Occupy und aus Rehakliniken, von Flensburg bis München, Fotos rosaner Panzer, gefaltete Kraniche, Friedenstauben und Pappmonster, großartige gezeichnete Bilder, mir gewidmete Liedtexte und subversive Geheimpostkarten. Meine Zelle ist noch immer eine Zelle, aber dank euch etwas lebendiger!
Jeder Tag, an dem ich die einzige oder eine von wenigen bin, die Post bekommt, zeigt mir, wie wichtig es ist, die nicht-prominenten, die leider alltäglichen, die vermeintlich unspektakulären Gefangenen nicht zu vergessen. Lasst uns erst aufhören, Briefe in Knäste zu schreiben, wenn es keine Knäste mehr gibt. Und lasst uns mehr gegen dieses wegsperrende, zerstörerische System tun, als Briefe zu schreiben!

Briefkontakte zu inhaftierten Personen werden übrigens unter anderem von Jail-Mail, dem Freiabonnements für Gefangene e.V. und dem Nothilfe Birgitta Wolf e.V. vermittelt. Wer grundsätzliche Tipps für Briefe an Gefangene braucht, wird z.B. hier und hier fündig.

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