Nach nur zwei Verhandlungstagen verwarf das Landgericht Flensburg in Sachen „Antimilitaristischer Gleisblockade“ die durch die Verteidigung nach der ersten Instanz eingelegte Berufung. Die angeklagte Aktivistin hatte sich im Februar 2008 in Ohrstedt, Nordfriesland an die Gleise gekettet, um ihren Protest gegen die deutschen Militärs und deren Auslandseinsätze zu verdeutlichen. Ein Militärtransport verzögerte sich damals um mehrere Stunden. Das Landgericht verurteilte die von „containertem Essen“ lebende Angeklagte nun zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen a 15 Euro. Die Verurteilung war bereits am letzten Prozesstag absehbar gewesen, weil Richter Grisée es für unproblematisch befand, das an der Urteilsfindung ein Militär der Streitkräftebasis als Schöffe beteiligt war.
Berufung verworfen
Im Februar 2008 stoppte eine Gruppe junger Friedensaktivist_innen einen Transportzug der Bundeswehr auf dem Weg zu einem Manöver der Nato Response Force. Die NRF ist eine multinationale 18.000 Soldaten starke Eingreiftruppe der Nato, die im Zweifelsfall auch mit Angriffskriegen den Zugang der NATO-Staaten zu Märkten und Rohstoffen sicherstellen soll. Aus Deutschland sind daran regelmäßig u.a. das Luftabwehrraketengeschwader 1 aus Husum beteiligt. „Krieg fängt mit Üben an – jede Vorbereitung dafür ist essentieller Teil der Kriegseinsätze, die ich ablehne“ so eine der beteiligten Aktivistinnen. Die heute 25jährige stand nun in Flensburg vor Gericht, weil ihre Ankettaktion in erster Instanz als Störung öffentlicher Betriebe und Nötigung gewertet worden war. Bereits im Frühjahr hatte das Amtsgericht Husum den Fall verhandelt und in einem skandalösen Urteil 120 Tagessätze gegen sie verhängt. In der Berufung vor dem Landgericht in Flensburg reduzierte Richter Grisée lediglich die Höhe der Strafe auf 90 Tagessätze.
Der alltägliche Justizskandal auch bei politischen Prozessen
Trotz widersprüchlicher und sehr komplexer höchstinstanzlicher Entscheidungen zu dem Themenkomplex „Ankettaktionen und Versammlungsrecht“ lehnte der Richter die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ab. Es schien, als ginge es ihm schlicht darum, die Sache möglichst schnell vom Tisch zu kriegen. „Hier zeigt sich wieder einmal, dass Gerichte das Militär schützen, ohne die eigene Rolle kritisch zu reflektieren. Wer Antimilitaristinnen verurteilt, ist mitverantwortlich für die Kriege der Bundeswehr“, so ein Prozessbeobachter.
Haben Cops Ahnung vom Versammlungsrecht?
In den Zeugenaussagen offenbarte sich erneut das mangelnde Wissen der Polizei zu Versammlungen. „Nein, die Anwendung des Versammlungsrecht haben wir nie in Betracht gezogen.“ gab z.B. die zuständige Beamtin der Landespolizei an, obwohl sie Banner mit Forderungen gesehen hatte, und sich auch an die Anrede: „Dies ist eine gewaltfreie Demonstration“ erinnern konnte. „Man sieht hier ganz deutlich, dass Bürgerrechte das Papier, auf dem sie gedruckt werden nicht wert sind, da die Polizei sie nicht einmal kennt“ sagte Jan Hansen, Prozessbeobachter von der Initiative militarismus-jetzt-stoppen.
Sind bei Militärtransporten Notsignale „Schabernack“?
Auch die Aussagenabsprache zwischen Lokführer und Rangierleiter lief nicht so reibungslos wie in der ersten Instanz. Damals hatte die beiden eine sonderbare Story aufgetischt, um das peinliche Detail, dass sie Notsignale einfach ignorierten, aus der Welt zu schaffen. In der ersten Fassung des Polizeiberichtes der Nacht schreibt ein Bundespolizist, wie er mit dem Rangierleiter gesprochen habe, und dieser beschreibe, wie sie auf dem Weg vom Depot zur ca. 3 km entfernten Weiche während der Fahrt einen Knall an den Gleisen vernommen hätten, Fackeln am Gleisbett überfahren hätten, und Lichtsignale ignorierten, weil sie es für einen „Schabernack“ hielten. Die Geschichte der Beiden hatte diesmal deutliche Widersprüche. So widersprachen die beiden sich u.a. in der Anzahl und in der Dauer der angeblich zur Gefahrenabwehr eingeleiteten Stopps.
Sicherheit durch Schikane?
Die Justizwachtmeisterei, die sich während des vorangegangenen Verhandlungstags zurückhaltend verhalten hatte, durfte die Härte der Eingangskontrollen zum Urteil noch einmal deutlich anziehen. „Daran zeigt sich, dass diese Kontrollen nicht einer angeblichen Sicherheit dienen, sondern die TeilnehmerInnen einschüchtern sollen!“ sagte eine Prozessbeobachterin.
Wenn das Militär die Schöffen stellt…
Die Verurteilte prüft nun weitere Rechtsmittel. „Ich bin nicht überrascht ob der Verurteilung, denn das Gericht war von Beginn an befangen. Einer der Schöffenrichter ist sogar selbst bei der Bundeswehr, wurde aber trotz Ablehnungsantrag nicht ausgetauscht. Außerdem zeigte der vorsitzende Richter keinerlei Interesse für entlastende Argumentationsstränge und verwies mehrmals gelangweilt auf die nächsthöhere Instanz, die das ja dann entscheiden könne“ so die Angeklagte. „Das Versammlungsrecht scheint für Herrn Grisée eher eine lästige Pflicht als ein zu schützendes Grundrecht darzustellen“.
Vielfältige Soli-Aktionen
Die Prozesse waren begleitet worden von solidarischen Transparentaktionen vor dem Gericht und Straßentheater in der Innenstadt. Außerdem gingen bei Gericht zahlreiche Protestfaxe ein, die die Befangenheit des Militärschöffen kritisierten. „Ich freue mich über die Solidarität, denn ich merke: Selbst wenn nur wenig Leute bis nach Flensburg fahren, um bei den Prozessen dabei zu sein, so sind sie doch im Kopf dabei – das gibt mir Mut, weiterhin radikal Stellung zu beziehen.“
Weitere Prozesse stehen an
Weitere Prozesse werden folgen: Die anderen Aktionsbeteiligten sind wegen Beihilfe angeklagt und außerdem stehen noch zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit der NOB und der Bahn an, die Schadenersatzansprüche geltend machen.